Dienstag, 10. November 2009

Crash-Boccia - Jugenderinnerung Teil 3

Hier gibt es Teil 1 zu lesen
Hier gibt es Teil 2 zu lesen

Denn genau auf diese linke Glasfront hatte es der Stein abgesehen. Mein Freund musste sofort gemerkt haben, dass sich grosses Unheil über ihm zusammenbraut. Denn das Splittern des Glases und sein Sprint-Start fielen zeitgleich zusammen.

Es sah aus, als sei er von einer gigantischen Kanone in eine andere Galaxie geschossen worden, so schnell flitzte er davon. Ich sah nur noch einen Fuss von ihm um die doch acht Meter entfernte Hausecke verschwinden.

Mir war, als hätte ich den Überschallknall noch Tage später in meinen Ohren.

Dank meinem schon damals ausgeprägten Heldentum blieb ich am Ort des Geschehens wie festgenagelt stehen. Getreu dem Motto: Ich stehe meinen Mann, komme, was wolle! Böse Zungen behaupteten später, der Schreck sei mir dermassen in die Glieder gefahren, dass ich keiner Bewegung mehr fähig gewesen sei. Ich halte das noch bis heute für ein Gerücht.

Mein Heldentum zerbröckelte aber definitiv, als ich von dem herbeigeeilten Geschäftsführer und zwei beinahe hysterischen Müttern gleichzeitig in ein knallhartes Kreuzverhör genommen wurde. Auf so tröstliche Bemerkungen wie: Geht es dir gut? Ist dir auch nichts passiert? Macht nichts, Hauptsache du bist gesund! wartete ich vergeblich.

Aus meinem Gestammel konnten sie entnehmen, dass sich mein Freund irgendwo hinter dem Haus versteckt haben musste. Nach einer gross angelegten Suchaktion von seiner Mutter wurde er schliesslich drei Minuten später von ihr zum Verhör nach vorne gebracht. Sein Versteck im Gebüsch wäre eigentlich gut gewählt gewesen, hätte er an dem Tag nicht ein knallgelbes Shirt getragen.

Sein Blick schrie mir das Wort Verräter förmlich ins Gesicht. Ich spürte, wie mir die Schamesröte augenblicklich den Kopf zum Glühen brachte.

Ich wusste, ich werde meinen Freund nie wieder sehen. Ich war der Überzeugung, er bekommt mindestens lebenslänglich Hausarrest, neben der zwanzig Jahre im Steinbruch, falls er sich überhaupt jemals wieder vom öffentlichen Auspeitschen auf dem Dorfplatz erholen sollte.

Das ist das Leidige mit der kindlichen Fantasie. Sie scheint unendlich kreativ, auch bei der unangenehmen Vorstellung, was den Erwachsenen alles einfallen könnte, um uns Kinder zu bestrafen. In solchen Situationen verkörpert jeder von ihnen die Reinkarnation von einem mittelalterlichen, gnadenlosen, mit einer schwarzen Kapuze verhüllten Folterknecht.

Aber zum Glück war alles nur halb so wild. Denn nur zwei Wochen später haben wir wieder die Umgebung unsicher gemacht. Nur in die Nähe des Schaufensters brachten uns keine zehn Pferde mehr. Dafür sorgte schon der vernichtende Blick des Laden-Inhabers.

Und Boccia habe ich bis zum heutigen Tag auch nicht mehr gespielt.


© geschichtenerzähler

1 Kommentar:

  1. Erinnert mich an den Blödsinn meines "kleinen" Bruders, der nicht weniger als 4 Mal die Kloscheibe unseres Nachbarn eingeballert hat. Der war Fussballtrainer und hat nichtmal nach dem 4.Mal gemeckert. Erstens hat er ihn für seine Treffsicherheit gelobt (die Scheibe war echt klein) und zweitens mit zum Training genommen, damit er ausgelastet ist. Nachdem er aber dort zwei Spieler abgeschossen hat, war Schluss mit lustig und beim nächsten Auf-der-Straße-kicken, wurde das Leder kurzerhand entwendet. Unsere Versicherung hat dem Nachbarn sicher dazu geraten und nen Bonus gezahlt.

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